Aspekte

                                                                                                               Vitaly S. Alexius

 „Diese Sorgen möchte man haben“ mag sich so mancher denken, der sich inhaltlich mit der Frage „Gibt es Gott?“ einlässt. Doch die brisante Thematik war schon immer von kausalem Belang, wurde und wird mitunter gar zur Schicksalsfrage. Zum Problem wird sie mit dem ständig wiederkehrenden und erfolglosen Versuch, sprachliche Terminologien divergierender geistiger Ebenen substantiell zu verquicken.

  Da sind einerseits unsere Gehirne, die aus den von unseren Sinnesorganen gelieferten Signalen heraus ein Modell unserer Außenwelt interpretieren und daraus mentale Konzepte bilden. Diese sind die einzige Wirklichkeit, die wir erkennen können. So entsteht daraus ein konstruiertes Modell, seine eigene Realität schaffend. Das fatale daran: Es erträgt in der Regel keine andere Überzeugung neben sich.

  Die wissenschaftliche Determination andererseits duldet keine Ausnahmen und Wunder. Die durchaus vernünftige Frage, wer oder was das Universum geschaffen hat, müsste mit der Antwort „Gott“ lediglich mit einer Verschiebung zu jener reagieren, wer Gott geschaffen hat. Wissenschaft und Theologie sind sich nur sofern einig, dass es eine Instanz gibt, die keinen Schöpfer braucht. Darum ist die Suche nach einem in sich konsistenten Modell des Kosmos, das Werte für vorhersagbare, messbare Größen liefert, ohne Rückgriff auf übernatürliche Wesen nur folgerichtig. Seit etwa einem Jahrhundert ist unser Universum nicht mehr mit den Begriffs-welten von Aristoteles bis Newton erklärbar. Gewohnte traditionelle Terminologien haben ihre autoritäre Relevanz spätestens mit den Beobachtungen Einsteins verloren, die in der Wissenschaft nur noch durch mathematisierende Darstellung erfassbar sind. Es mag ja schwer fallen, anerzogenes und liebgewonnenes Gedankengut infrage zu stellen. Immerhin leistet sich inzwischen auch der Vatikan ein Observatorium, und Professor Hawking muss nicht mehr befürchten, das Schicksal eines Giordano Bruno zu teilen. Auch dies ein Erfolg unabhängigen Denkvermögens.

  Trotzdem verbleibt uns die ungelöste Schicksalsfrage, solange wir die aus der Ratlosigkeit geborenen, verführerischen „Erfahrungen, die Menschen durch Vertrauen auf Gott gewannen“ weiterhin in aller Welt das Primat über eine erklärbare Realität zubilligen. Die Auswirkungen auf eine von Gier und Ängsten überforderten Gesellschaft sind heute wie an jeder beliebigen Stelle der Menschheitsgeschichte als Produkte des Irrsinns verfolgbar und degradieren die Wirklichkeit zu unserem größten Gegner. Ergo: Wo der Glauben dominiert, ist der Teufel nicht weit.

 

  Einem Leserbrief, in dem der Verfasser sich darüber beklagte, dass in einem Fernsehbeitrag über den berühmten englischen Professor Stephen Hawking “...leider Erfahrungen, die Menschen durch Vertrauen auf Gott, sowie andere Aspekte unerwähnt...“ geblieben waren, hatte mich geradezu genötigt, meine eigene Sicht der Dinge in besagtem Leserforum entgegenzusetzen. Leider - man ahnt es - vergeblich. Der Beitrag blieb unveröffentlicht. Schade, es hätte interessant werden können. Aber keine Antwort sei auch eine Antwort, sagt man. Der „Gläubige“ wähnt sich auf der sicheren Seite: er kann nur gewinnen. Sollte es seinen Gott tatsächlich nicht geben, so hat er ja nichts verloren. Er muss allenfalls mit der Angst leben, es nicht mit dem „Wahren“ gehalten zu haben. Mut zum Bekenntnis: auch ein „Aspekt“!

                                                                                              17. August 2015