Der Neujahrsempfang

 

  „Umsonst und drinnen: In leicht abgewandelter Form hat der für Großveranstaltungen im Freien bekannte Slogan auch für den Neujahrsempfang der Stadt Bamberg im Januar Gültigkeit. Umsonst und drinnen gibt es Wärme, Gespräche, Wein und Häppchen - und natürlich Zuspruch für das gerade begonnene Jahr.“

  So der Einführungskommentar einer bekannten Lokalredakteurin zur zehnten Auflage dieser lokalpolitischen Selbstdarstellung. Fast alle geladenen Gäste haben der städtischen Großmut ihre Reverenz erwiesen, so auch der Autor dieser Zeilen samt Gattin. Man gönnt sich ja sonst nichts, wirft sich „in Schale“ und rätselt erst mal über das Warum dieses unverhofften Privilegs - ohne glaubhaftes Ergebnis. Auch die Einladung selbst verrät hierüber nichts, außer dass die Gasgebenden die übliche Spenden-freudigkeit der Gäste für einen caritativen Zweck bemühen.

  Der Eintritt ins Foyer verrät, dass es sich bei den Gästen um zwei grundverschiedene Gattungen handelt. Da ist einmal die Überzahl der Routiniers, die ihre Festtagslaune nonchalant ausstrahlen. Man kennt sich untereinander, begrüßt sich bereits jovial vor dem Foyer. Beschwingt fröhliche Festtagsmimik hier. Ein anderer Teil, schlichter garderobiert, fällt auf durch geläutert wirkende Reserviertheit, sich suchend findend zwischen gespannter Erwartung und Neugier. Verunsicherte Ernsthaftigkeit dort.

  Selbst als regelmäßiger Besucher dieses Musentempels seit dessen Eröffnung habe ich das Haus noch nie so „besetzt“ gesehen. Man verteilt sich nach Belieben und harrt der Dinge, lauscht dem offenen, nachbarlichen Smalltalk.

  Dann der mit Ungeduld erwartete Introitus. Organist Thomas Eichfeldert schlägt in die Tasten: Mit Donnerhall braust die Eurovisionshymne mit voluminösem Orgelton majestätisch durch die Halle, gefolgt von Variationen der „Europahymne“. Beethoven muss es schon sein! Eine sublimierte Anspielung auf Gehalt und Tenor der anstehenden Festrede? Für eine Siegesfanfare wäre es dann doch noch etwas voreilig, bei allem Optimismus. Dafür im Anschluss die swingende Version eines betagten Schlagers durch die aufspielende Jazzcombo um Roland Kocina. Bekannt die Melodei, aber - wie hieß der Titel noch? Ach ja, richtig: „Istanbul“. Aus den Fünfzigern mir noch bekannt, machte sich seinerzeit der Libtrettist Gedanken über die vielen Namen der alten Stadt: Byzanz, Konstantinopel und jetzt: Istanbul. Keine rechte Antwort findend, kam er zu dem Ergebnis: That’s nobodys business but the turks. Auch eine Anspielung der Regie?

   Die folgende Ansprache des Oberbürgermeisters überzeugte mit sprachlicher Professionalität und Überzeugungskraft. Wer seinen Ausführungen inhaltlich eher skeptisch gegenbübersteht, wird dafür eher geneigt sein, darin gewandte Überredungskunst zu diagnostizieren. Politiker-Sprech halt.

   Die Aufzählung der avisierten Projekte ab 2016 müsste der unbedarfteren Gefolgschaft gelebter Konventionalitäten schon bei jeder Einzelposition den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Nicht so dem OB, der im Kreise seiner Bewunderer trotz einem gigantischen Überhang ungelöster Kalamitäten und Schuldenbergen globalen Ausmaßes ein „positives Grundrauschen“ vernimmt. Dem seinen überschaubaren Verantwortlichkeiten verpflichteten Gasthörer wird unverhofft und hautnah der chronische Verlust abwägender Ernsthaftigkeit unserer politischen Szenerie veranschaulicht: Offenhalten aller Optionen ohne eindeutige Festlegung. Das erklärt die demoralisierende Unentschlossenheit der Führungseliten allenthalben. Reagieren statt agieren als neuer Pragmatismus: Was heute gestaltet, ist morgen veraltet. So auch das Eingeständnis des Stadtoberhaupts, der seine Rolle als Sachwalter der „Kunst des Möglichen“ versteht, was man seinerzeit noch als Wesensmerkmal der Politik schlechthin verstand. Die fortgeschrittenere „Kunst des Unmöglichen“ ließe sich in dieser Konstellation als Akrobatik eventuell überforderter Mandatsträger interpretieren, um sich nicht irgendwann in der unpopulären Position des Sündenbocks wiederfinden zu müssen. Man weiß ja nie. Als reflektierender Beobachter muss ich allerdings gestehen, dass ich die sichtbar unterschiedliche Gefühlslage der Teilnehmerkategorien, Euphonie hier, Skepsis dort, in umgekehrter Verteilung als erquicklicher empfunden hätte...

  Aber es ist die hohe Zeit der Optimisten, deren Gemütszustand sich seit altersher auf ungenügende Information gründet. Oder gar zweckgebundene Heuchelei, wie böse Zungen gerne lästern. Nur keine Miesepetrigkeit heute! Die Ankündigung der Festrednerin bietet dem glänzend gestimmten Stadtoberhaupt auch Anlass für Humoriges. Die neue Theaterintendantin Sibylle Bröll-Pape, die in der eher provinziell geprägten Theaterlandschaft anlässlich der vollzogenen radikalen Umgestaltung in Form und Farbe für Furore gesorgt hatte, schien dem OB bereits im Vorfeld darob ohne rote Haare nicht vorstellbar. Für die gebotene Integration der Migrantin aus dem Norden der Republik fand er eine Eselsbrücke in der für den Franken schwierigen Aussprache der harten doppelten(!) P’s im Namen der Geehrten, wofür sich in Bamberg das gewohnte BB ebenso natürlich wie integrierend anbot und gleichzeitig der Link zum Basketball Bamberg hergestellt sei. Das kam gut an.

  Das Bamberger Stadttheater, nach seiner Umgestaltung zu einem eigenen „Amt“ mit fest angestellten Schauspielern zur einsamen Avantgarde integrierter Hochkultur zählend, sieht sich dementsprechend seiner gesellschaftlichen Verantwortung verpflichtet, so die Intendantin. Auch mit traditionellem Festhalten am Archetyp des Theaters als moralische Anstalt im Sinne Schillers zur Kultivierung einer besseren Gesellschaft, will sie mit Diskussionsrunden eine neue Plattform schaffen. Doch soll das Theater nicht Antworten liefern, sondern Orientierungshilfen leisten. Das hat mir gefallen.

  Nachdem sich der zweite Bürgermeister als „vorletzte Hürde“ zur Büfetteröffnung Publikumssympathieen erheischte, ergoss sich die gut eingestimmte Festversammlung nach einer weiteren gelungenen Darbietung der Jazzcombo und dem Evergreen von Hildegard Knef „Eins und eins das macht zwei“, stimmig dargeboten von Katharina Breuer ins Foyer.

  Dichtes Gedränge vor Ort. Eine attraktive junge Dame kredenzt uns freundlich ein Tablett mit Rotweingläsern. Man dankt freudig, findet einen Platz an den umherstehenden Stehtischen und beobachtet den vorüberziehenden Besucherstrom. Die Identifizierung der flanierenden Prominenz beschäftigt vornehmlich die des Milieubetriebs unvertrauteren Anwesenden. Defilee der örtlichen High Society, ein Hauch von Klein-Bayreuth. Auch wir begegnen persönlichen Bekannten, die uns ebensowenig über den tatsächlichen Hintergrund unseres Hierseins verlässlich aufklären können. Nach zwei nachfolgenden Gläsern Sekt und dem Austausch unterhaltsamer Nebensächlichkeiten beschließen wir, den Nachhauseweg anzutreten. Am Ausgang nutze ich die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch mit der neuen Theaterintendantin. Die angedeutete Bewunderung für ihre unkonventionellen Neuerungen und ihre Antrittsrede war ehrlich; das musste gesagt werden. Eine schriftliche Wiedergabe ihrer intelligenten Ausführungen war jedoch nicht verfügbar. „Alles Gute“ dennoch! Auch ihr und ihren Schutzbefohlenen stehen aufregende Zeiten „ins Haus“.

                                                                                                              3. Februar 2016