Die abgehängte Sittenreinheit

Toby Cypress

 

  Der Fränkische Tag stellt in seiner Ausgabe vom 21. Oktober 2015, S. 9 seinen Lesern eine überraschende Gewissensfrage:

  Dürfen Landschaftsbilder eines in der Nazi-Zeit hochdekorierten Malers im Sitzungssaal des Bamberger Rathauses hängen bleiben? Die jahrzehntelange Debatte darüber sollte jetzt im Kultursenat mit einer erklärenden Schautafel befriedet werden. Doch es gibt Einspruch, und die anstehende Debatte wird Bamberg noch eine Weile beschäftigen, so die Redaktion. Die vorgeschlagene Textfassung sei zu „windelweich“, die Bilder seien blamabel für den Stadtrat und zu entfernen, so die Meinung einiger oppositioneller Bilderstürmer. Nachforschungen in den Lebenserinnerungen des Geächteten hätten den Maler zweifelsfrei als Nichtdemokraten enthüllt. Auch die vermeintliche(!?) Schönheit der Bilder gelte bei „Kennern der Materie“ nicht als Entschuldigung für ihren weiteren Verbleib; eine wissenschaftliche(?) Untersuchung soll Klarheit über den Sachverhalt bringen. Eine gegenteilige Meinung hierzu bewertet den Anblick der „schönen Stadtansichten“ als Wohltat in der üblichen Sitzungshektik, die keinen NS-Inhalt erkennen ließen.

  Die von der Zeitungsredaktion aufgerufene Abstimmung unter der Leserschaft über Verbleib oder Entfernung dürfte zumindest interessante Aufschlüsse über dessen Demokratieverständnis zeitigen, zumindest jedoch über die Bereitwilligkeit, sich namentlich zu einem Thema zu äußern, das sich mit zunehmender Tendenz rationaler Beurteilung zu entziehen droht. Erste Reaktionen zeigen, dass das wieder ins öffentliche Blickfeld gerückte Vokabular wie „Hetze“ und „dumpfer Hass“ nicht ausschließlich der „rechten“ Szene zuzuordnen sind.

  Ist das Kunst oder muss das weg? Die Thematik des an die Öffentlichkeit transportierten „Künstlerstreits“ verdeutlicht auf peinliche Weise, dass es sich bei aller Erklärungsnot hierbei nicht um Kunstverständnis, sondern um Polemik handelt. Die Argumentation einiger beflissener Stadträte, den Rang von Kunstwerken mit dem Kontext, unter denen diese entstanden sind, weltanschaulich zu bemessen, erinnert in fataler Weise an gerade jene Unkultur, die man zu bekämpfen vorgibt, ohne den Mut aufzubringen, mit einer mehrheitsfähigen Konzeption zu überzeugen. Hängen lassen? Abhängen? Aber wohin?

  Muss sich ein Kunstfreund, die aktuell landläufige Moralität nicht wie einen Orden vor sich hertragend, demach dem Verdacht als Anhänger rechts-radikalen Gedankenguts ausgesetzt fühlen? Soll man das Streitobjekt, notfalls mit erläuterndem Beitext ob politisch motivierter Fehlleistungen des Künstlers, als Provinzposse dem Spott der Weltöffentlichkeit aussetzen? Oder gar als Verfechter der reinen Lehre den nervus rerum dem „reinigenden Feuer“ übergeben? Die anstehende Debatte um zeitgeistbezogene Moral-prinzipien trägt mit dem Schreckgespenst „Moralimperialismus“ das Potenzial des Gesinnungsterrors in sich, wie Entwicklungen der jüngeren Geschichte eindrucksvoll veranschaulichen. Unkritisches Ausleben „heiliger“ Doktrinen hat uns in die konsensunfähige Sackgasse geführt, was weiterhin  Schlimmstes befürchten lässt. Wenn sich unser unfreiwillig zusammen-gedrängtes Kulturkonglomerat gegen die folgerichtige Talibanisierung unserer Zivilisation erfolgreich erwehren will, wird es ohne eine schmerzliche Entrümpelung lebensfremder Gesinnungsmodelle und eine universell gültige Definition des schwammigen Moralbegriffs leider nicht herumkommen.

  Seit zwei Jahrhunderten „in den Wind gesprochen“:

 

Der moralische Zustand eines Volkes ergibt sich weniger aus dem absoluten

Zustand seiner Mitglieder als aus ihren Beziehungen untereinander.

Jean-Jacques Rousseau

 

  Der von mir per Webformular am 22. Oktober an den FT-Verlag versendete Leserbrief obigen Inhalts harrt bis dato vergebens seiner Veröffentlichung. Erfolgreicher dagegen die am 30. Oktober publizierte Darstellung eines von mir ansonsten ob seiner Kenntnisse der Lokalgeschichte geschätzten ehemaligen Lokalbürgermeisters und Stadtrats. Unter dem Titel „Die Bilder müssen weg!“ postuliert der nach eigener Angabe „eingefleischte Sozialdemokrat“ die längst überfällige „Bereinigung“ der Sache. Wie diese auszusehen habe, erfährt man nach justifizierender Schilderung der Entstehung und Präsentation der indizierten Kunstwerke. Und das mit dem beiläufigen Hinweis zur Parteizugehörigkeit des Urhebers der veröffentlichten Antithese seines christsozialen Stadtratskollegen so:

 

„...Dass die Schwarzen als Nachfolgepartei der Bayerischen Volkspartei und Steigbügelhalter Hitlers das mit anderen Augen sehen, liegt auf der Hand.(...) Die Bilder sind ohne Wenn und Aber zu entfernen.(...) Das ist die Lösung und nichts anderes!“

2. November 2015