Wir

 

 

  Unser Zeitalter ist das der Simplifikationen. Die Schlagworte, die alles erklärenden Universaltheorien, die groben Antihthesen haben Erfolg.                                                                              

                                                                                                                      Karl Jaspers

 

 

  Deutschland, dieses großartige, kaum fassbare Etwas, reflektiert sich dieser Tage in seiner ganzen Zerrissenheit. Trotzdem es nicht weiß, wohin es will, ist es zu einem Kythera der Entwurzelten aus aller Welt geworden. Doch alle spüren es: Irgendetwas stimmt da nicht mehr! Hier und auch sonstwo. Es sei töricht zu hoffen, dass sich etwas ändert, wenn man immer das Gleiche tut, lehrt Barack Obama. Das überzeugt zwar, fordert jedoch auch mehrheitliche Entscheidungen anderer, die Veränderungen womöglich zum eigenen Nachteil scheuen wie der Teufel das Weihwasser.

 

  Seit jeher von der Macht des Geldes dominiert, werden Beschlüsse in Hinterzimmern ohne missliebige Behinderung durch Kontrollorgane oder gar Volksentscheide getroffen, die sich ebenfalls dem Einfluss des Kapitals kaum entziehen können oder wollen. Unliebsames bleibt gerne außen vor. Über unverfängliche Marginalien überbieten sich mit ihren eloquentesten Frontleuten und dem einzigen Vorsatz, Recht zu behalten, das Establishment und ihre mediale Entourage mit faschistoider Gesprächskultur und liefern dem Wählervolk stattdessen eine klägliche Show des Versagens. Seit Jahrzehnten. Doch das Abarbeiten von Schlagworten kann keine Probleme lösen, noch kann dies durch Instrumente geschehen, die diese Probleme ursprünglich selbst ausgelöst haben.

 

  Was du auch tust, handele klug und und beachte das Ende! Das Zitat mit antikem Hintergrund reduziert sich in der aktuellen Tagespolitik auf die Verfolgung naheliegender Interessen der Eliten und seine Auswirkung auf Status und Verbleib. Ist also Radikalisierung unausbleiblich? Grotesk, dass die Aufgeregtheiten gerade dort kulminieren, wo nahezu völliger Konsens in allen Lagern herrscht: dem menschenwürdigen Umgang mit Ausländern. Es liegt nahe, hier System zu sehen: in den Mitteln der Diffamierung, der Ausblendung, der gezielten Schaffung von neuen Feindbildern und der Ablenkung von den eigentlichen Themen des Anstoßes. Unthematisiert bleiben dabei die wirklich drängenden Probleme, da riskant und nicht profitabel.

 

  Das Ergebnis einer repräsentativen Emnid-Umfrage für den Nachrichtensender N24 ist für die sich gerne selbstgefällig darstellenden „progressiven“ Parteien geradezu ein Super-Gau. Demnach halten 74 Prozent der Befragten gerade diese Parteien für „realitätsfremd". Genauer: Auf die Frage, ob sich die etablierten Parteien von der Lebensrealität der deutschen Bevölkerung entfernt hätten, antworteten 42 Prozent mit „ja, stark". Und weitere 32 Prozent sogar mit „ja, sehr stark". Weniger verwunderlich erscheint dieses Votum, wenn man berücksichtigt, dass die „Volksvertreter“ fast ohne Ausnahme einer Elite angehören, die im Durchschnitt des bürgerlichen Wählervolks praktisch so nicht vorkommt.

 

  Anders ausgedrückt heißt das: Die Volksvertreter hausen mehrheitlich in ihrem Elfenbeinturm ohne die Probleme, Sorgen und Nöte des normalen Bürgers wahrzunehmen, geschweige denn zu verstehen. Also anscheinend ohne Bezug zur Realität.

 

  Ein Desaster für die Bewertung von Arbeitsleistung und Wertschätzung von Politikern. Das mussten unlängst auch die Österreicher erfahren. Denn bei der Präsidentschaftswahl wurde den Kandidaten der „etablierten" Parteien (SPÖ und ÖVP) schon früh eine Abfuhr erteilt, gingen doch ein linker Grüner und ein rechter „Populist“ in die Stichwahl. Das widersprach natürlich der normalen Erwartung des politischen Establishments aus Sozialdemokraten und Konservativen.

 

  Doch neben der Realitätsferne kritisierten die Bürger noch etwas ganz anderes: Die soziale Ungerechtigkeit hierzulande! 61 Prozent der Befragten finden die gesellschaftlichen Verhältnisse als insgesamt ungerecht. Vor allem bei der Verteilung der Steuerlast (71 %), der generellen Vermögensverteilung (67 %), den ungleichen Bildungschancen (53 %) und den Karrieremöglichkeiten (48 %). Fast die Hälfte (47 %) meint, dass sozial Bessergestellte größere Möglichkeiten hätten, auf die Gesellschaft Einfluss zu nehmen, als Sozialschwache.

 

  Die Politikverdrossenheit - fast gar „Politikfeindlichkeit" - hat also damit zu tun, dass nach Volkesmeinung die gewählten Volksvertreter in hohem Maße den Bezug zur Realität verloren haben und mit Ihrer Politik für soziale Ungerechtigkeiten sorgen. Und noch mehr: Der Bürger soll am besten gleich gar nicht an Entscheidungsvorgängen beteiligt werden!

 

   Bewusster Missbrauch sozialer Hilfen, eklatante Missachtung geltenden Rechts durch Behörden und Regierungen, inkompatible Einwanderungverfahren, konsequenzlose Verschwendung von Steuergeld, systembedingte Spreizung der sozialen Schere, drohende Altersarmut, Pflegenotstand, schleichende Entmachtung der Parlamente, ein abenteuerlichen Finanzsystems, das bei steigenden Zinsen ganze Staatsgefüge wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen wird, unsoziale Alimentierung der Beamtenschaft, krisenanfällige Energieversorgung, religiöser Fanatismus im Kompetenzkonflikt zum Grundgesetz, systematische Demontage staatlicher Hoheitsrechte zugunsten supranationaler, nicht demokratisch legitimierter Institutionen, nur um die wichtigsten zu nennen: Alles das sollte für eine begründete Beklemmung im Wählervolk ausreichen. Dass sich das von den abhängigen Meinungsmonopolen gegängelte Gutmenschentum dabei als wohlfeile „fünfte Kolonne“ vor den Karren des Establishments spannen lässt, ziert als ironisches Sahnehäubchen Macht und Ohnmacht der Kontrahenten im Wettbewerb um die publikumswirksamste Lauterkeit.

 

  „WIR SIND DAS VOLK!“ Ein Ruf wie Donnerhall gegen verkrustete Politgefüge - gestern noch heldenhaftes Aufbegehren, heute dämonisiertes Wiedererwachen ungebetener Geister. Wir? „Das sind doch nicht etwa ,die von damals': Neonazis, Verwirrte, Ewiggestrige, Realitätsverweigerer, Kriminelle gar?“ rauscht es aufgeregt durch den Medienwald, schürt Angst im System. Volk zu den Waffen! Auf zum Gegenangriff! WIR, das gilt doch unumstritten nur für Eines: WIR sind Weltmeister! Stimmts?

 

                                  Denk ich an Deutschland in der Nacht,

                                  dann bin ich um den Schlaf gebracht.

 

  Heines Nachtgedanken. Der Mythos lebt - und es wird noch immer gedacht in diesem Land der Dichter und Denker, vielleicht aber nicht mehr ganz so viel. Ist es Ergebenheit oder Eingeständnis von Inkompetenz, wenn sich aus der in eigener Selbstverliebtheit eingelullten „Öffentlichkeit“ keine Stimme vernehmbar empört, wenn hochrangige Politiker auf Parteiversammlungen herablassend äußern können, dass sie mit anderen Vertretern „gewisser“ demokratisch legitimierter Parteien keinesfalls zusammenarbeiten werden?

 

 Pegida. Islamisierung (früher nannte man es Balkanisierung) des Abendlandes? Es sind nicht dümmliche Ängste vor Flüchtlingen, die Menschen auf die Straße treiben, sondern die Besorgnis über konformistische Auswürfe medialer Lärmkampagnen, über das Versagen der Politik und das Abgleiten in Zustände, wie sie uns aus allen islamischen Ländern tagtäglich vorgeführt werden. Und über „Gleichschaltung“. Alte Ängstigungen an neuen Fronten. Und was dann?

 

                               Sie werden weiter agieren, bis alles in Scherben fällt:

                               Denn heute gehört UNS noch Deutschland,

                               und morgen? Der ganzen Welt!

 

  Wie schnell doch die Zeit vergeht! Massenmedien ereifern sich über Reaktionen auf ein vorhersehbares, aber lange ignoriertes und verdrängtes Ärgernis, die breite Masse schießt zurück mit allen verfügbaren Emotionalitäten. Argumente bleiben im sittlichen Filter der gerade aktuellen Reinheitslehre unbewältigt hängen, um im Verlauf ausufernder Hysterien als Sündenfall oder erwägenswerte Alternative wieder nützliche Dienste zu leisten. Scheitert so unsere noch junge Demokratie - an Übereifer?

 

  Ja doch, Deutschland ist heute bunt, fürwahr. Und es ging uns noch nie so gut wie heute, so Kanzlerin und GroKo im Gleichklang. Auch die Demonstrationen gegen Fremdenfeindlichkeit suggerieren, dass dies so oder so auch bleiben soll.

 

  Da auch PEGIDA laut ihrem Positionspapier FÜR die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und religiös Verfolgten steht, demonstrieren gleichzeitig zwei Bewegungen für ein und dieselbe Menschenpflicht. Andere plakative Gegensätze und zu weltanschaulicher und eigener Linientreue verpflichtende Dispositionen helfen, die fundamentale Zerstrittenheit beider Demogruppen ins rechte Licht der Öffentlichkeit zu rücken - und die längst überfällige Bewältigung des Problems beflügelnd einem guten Ende zuzuführen. Auch die angesichts unserer demographischen Rückwärtsentwicklung und die, dem daraus abgeleiteteten Arbeitskräftemangel (?) entgegen wirkende Zuwanderung (?) wird von den Aktionen islamistischer Fundamentalisten tatkräftig unterstützt, indem sie uns die Bewerber scharenweise und kostengünstig zutreiben. Doch nicht genug der (denkbaren) Wohltaten.

 

  Gewiss werden demnächst (?) Kanzlerin, Kirchen und GroKo in schöner Eintracht mit dem vereinigten Gutmenschentum die Bundesmarine und zu verpflichtende „Traumschiffe“ und Großraumflugzeuge für den gefahrlosen Herantransport von Flüchtlingen über das Mittelmeer einsetzen und damit kriminellen Schleuserbanden das infame Handwerk legen. Die eingesparten Schleuserentgelte können dann die Flüchtlinge als Startgeld und für Firmengründungen hierzulande einsetzen: Ein zusätzlicher Gewinn für Wirtschaft und Menschenrechte! Auch der Wegfall der Asyl-Prüfverfahren erspart dem Steuerzahler immense Kosten und fördert noch dazu unsere ohnehin vorbildliche Willkommenskultur.

 

  Islamisierung des Abendlandes? Unbehagen über den Import von Zuständen aus der islamischen Welt, die „mit dem Islam nichts zu tun haben“? Keine Angst – den Gutmenschen ficht das nicht an. Ein tolerantes Deutschland ist selbst tolerant gegen die Intoleranz! Toleranter geht nicht, Selbstaufgabe hin oder her. Ein Volk, das Klimawandel, Energiewende, Demographie, Finanzkrisen, EURO, Lobbyismus, BER und Maut auf die Reihe kriegt, wird auch das bißchen Integration schaffen.

 

  Schließlich sind wir ja - Weltmeister!

updated 12. Oktober 2016