Heilig's Blechla

                                                                               Miranda Meeks

 

   Das hat gerade noch gefehlt: Schon wieder ein Aufreger! Und dabei immer wieder das ungute Gefühl, sich selbstkritisch beäugend in die Rolle eines unverbesserlichen Nörglers zu manövrieren. Der Anlässe, freudige Kommentare zum Zeitgeschehen abzugeben, sind ja heutzutage leider sehr wenige. Was bleibt also?

  In einer Tageszeitung fordert der Bamberger Erzbischof ein Gesetz gegen Blasphemie. Jawohl: fordert! Deutschland brauche ein Gesetz gegen Verspottung religiöser Werte und Gefühle. Im Grunde kein merkwürdiges Postulat von einem Mann der Kirche, der zu wissen glaubt, was Deutschland braucht. Aber man ist ja tolerant geworden. Auch in Kirchenkreisen. Deshalb: Auch Anhänger anderer Glaubensrichtungen sollen in ihren religiösen Überzeugungen und der Ausübung ihrer Religion geschützt sein. Gegen „heilige Personen, heilige Schriften, Gottesdienste und Gebete sowie heilige Gegenstände und Geräte aller Religionen“ dürfen Spott und Hohn nicht zugelassen werden. So der Erzbischof.

  Lieber Herr Erzbischof: gegen alles andere demnach schon? Das, was Sie fordern, gibt es doch bereits! Sogar Strafen für Übertretungen sind vorgesehen. Nach unserer Verfassung genießt auch der Nicht-Gläubige die gleichen Rechte wie der gläubige Bürger. Das war nicht immer so, ist aber heute Gesetz. Unser Rechtssystem schützt alle religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse vor öffentlicher Herabwürdigung nach

§ 166 Abs.1 StGB, allerdings nicht deren Inhalte und nur insoweit, wie dies der Wahrung des öffentlichen Friedens dient. Dies unterscheidet unsere laizistische Staatsform vom so genannten „Gottesstaat“, der für Gotteslästerung nach unserem Verständnis auch drakonische Strafen vorsieht. Die Störung der Religionsausübung, Feiern religiöser oder weltanschaulicher Veranstaltungen als auch Zuwiderhandlungen gegen das Pietätsempfinden stehen auch hierzulande bereits unter Strafe. Das Recht, anderen Leuten auch Dinge sagen zu dürfen, die sie nicht hören mögen, gehört zu unserem Verständnis von Freiheit.

  Nicht strafbar sind auch öffentliche, beschimpfende Äuße-rungen über Gott. Aus gutem Grunde. Wer soll hier ein „angemessenes“ Strafmaß festlegen? Der Gläubige darf gewiss darauf vertrauen, dass sein Gott – anders als der schutzsuchende Bürger - immer in der Lage sein dürfte, seinem Verunglimpfer Recht angedeihen zu lassen. Doch noch etwas stört mich.

  Wie soll man einem Atheisten den Begriff „heilig“ in all seinen Assoziationen erklären? Generationen von Religionswissenschaftlern (?!) konnten sich durch die Jahrtausende auf keine verbindliche Definition einigen, die von allen Menschen gleichermaßen anerkannt, geschweige denn justiziabel wurde. Bis heute. Ist heilig,

was ein Rabbi, Priester oder Ayatollah dafür erklärt? Für den denkenden Menschen eine Zumutung. Der Begriff „heilig“ definiert sich über die abenteuerlichsten Kriterien. Verwurzelt sowohl im römischen Kult als auch im Alten Testament, wo er die Erhabenheit Gottes über alles Kreatürliche bezeichnet, aber auch die Zugehörigkeit des Kreatürlichen zu Gott beschreibt. Im allgemeinen Sprachgebrauch versinnbildlicht „heilig“ alles das, was unverletzlich, unantastbar, sittlich vollkommen, makellos oder schlechthin als gut angesehen wird. Ob der Begriff nun von dem (nicht belegten) germanischen Wort haila abgeleitet ist, das Zauber, günstiges Vorzeichen oder Glück beinhaltet, sei dahin gestellt. Jedenfalls begleitet der Begriff die Religionswissenschaften seit ihren Anfängen bis in unsere Gegenwart. Anhand seiner sprachlichen Verwendung lässt sich immerhin deduzieren, dass ein umfassender Konsens nicht erzielt werden konnte. Im Gegenteil.

  Heiligkeit orientiert sich in der jüdisch-christlichen Tradition an Prämissen, also an als wahr vorausgesetzten Gegebenheiten und transzendental-philosophischen Ansätzen, existiert also sui generis als nicht definibel im strengen Sinne. Im Verlauf der Geschichte entwickelte sich der Terminus zum Verlust oder zumindest zur Minderung seiner Bedeutsamkeit; modernere Auffassungen gehen immerhin von der Beobachtung aus, dass Kulturen unterschiedliche Dinge und Sachverhalte zu unterschiedlichen Zeiten und Gelegenheiten als „heilig“ einzuordnen geruhten.

  Was wurde schon alles als heilig tituliert! Ein „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“, das in den Nachwehen der französischen Revolution seinen Geist aufgab – sofern dieser dort jemals zugegen war.

Da gab es einmal eine „Heilige Allianz“, die schon sehr bald an den Wirren gottloser Machtpolitik scheiterte.

Da gibt es „Seine Heiligkeit“ und Vaterschaften heiliger und unheiliger Natur. Und für den militanten Islamisten sind, im Gegensatz zu den aufklärungsbereinigten Gepflogenheiten des christlichen Abendlandes, „Heilige Kriege“ unseligen Andenkens auch heute noch bedarfsweise im göttlichen Angebot.

  „Ach du Heilig’s Blechla!“ möchte man da lauthals in die Welt hinausrufen…

 

 Zurück zum Aufruf für strengere Gesetze gegen Gotteslästerer: Wettern Sie gegen die Obszönitäten eines außer Kontrolle geratenen Marktradikalismus, lieber Herr Bischof. Oder geißeln Sie die Ungerechtigkeiten einer immer weiter auseinander driftenden Gesellschaft. Das wäre gut. Die katholische Kirche ebenso wie die anderen so genannten Glaubensgemeinschaften aller Provenienzen sind gut beraten, überall dort, wo sie sich auf Konfrontationskurs mit unserer noch jungen Demokratie befinden, ihren umsorgten Anspruch samt ihrer ausgeprägten Selbstherrlicleit einmal gründlich zu überdenken. Angefangen bei dem unvermittelbaren Anspruchsmonopol für den „wahren“ Weg zur Seligkeit und den obsoleten Privilegien ihres „Staates im Staate“, bis hin zu dem Festhalten an all dem archaischem Gedankengut, das die Lebenserfahrung längst als untauglich zu den Akten gelegt hat.

updated 7. Februar 2017