Schon wieder?

Xiao Botong
Xiao Botong

 

  Ein seit Jahren von den Tagesmedien losgetretener „Mainstream“ der Verhaltensethik in der Diktion einer moralisierenden Glaubenswelt hat sich unbemerkt und lähmend auf alle Gesellschaftsbereiche verbreitet.

 

Lebendige Steine gegen dumpfen Hass

(Fränkischer Tag vom 29./30. August 2015, S. 14)

 

  Eingehend auf die aktuelle Flüchtlingssituation erläutert unter der abenteuerlich ausgefallenen „Schlag“-Zeile in dürren Worten die Patin einer Aktion, wie man den Zugang zum Bamberger „Zelt der Religionen“ mit gesponserten Pflastersteinen aufwerten könne:...Zwar sei die Stimmung in Bamberg „eher positiv“. Doch diese dürfe nicht umschlagen „in dumpfen Hass auf Andersartigkeit“, mahnte die Katholikin.

 

  „Lebendige Steine“ kann man noch als romantisierende Poesie akzeptieren. Aber „dumpfer Hass“? Was wäre die Veranlassung für ein „Umschlagen“ und ließe der sich, wenn es ihn denn so gäbe, durch eine Art Exorzismus hinwegbeschwören? Sind unsere öffentlichen Plätze nicht mit Mahn- und Denkmälern für verirrte Mainstream-Auswüchse reichlich ausgeschmückt, unser Kalender mit Gedenktagen üppig besetzt?

 

  Dass man die Darstellung eines Problems auch so ganz anders an sein Publikum bringen kann, zeigt eine Buchbesprechung in der gleichen Ausgabe.

 

Gegen den Erlebnis-Burn-Out

(S. 1, Fränkischer Sonntag)

 

  Der emeritierte Bamberger Professor für Kulturgeographie Werner Bätzing beschäftigt sich seit fast 40 jahren mit den Problemen und Perspektiven des Alpenraums.

 

  „Unberührt war das Land noch nie. Nicht erst die moderne Gesellschaft hat diesen Raum verändert, sondern bereits die Alteingesessenen griffen hier ökologisch ein, um sich einen Lebensraum zu schaffen. Mehr noch: Handwerk, Gewerbe und Dienstleistungen/.../spielten schon immer eine wichtige Rolle. Von bloßer Idylle also keine Spur.“

 

  Bätzing sieht als Hauptproblem das Verschwinden der vielfältig-kleinräumigen Kulturlandschaften - sowohl durch Verwilderung, aber auch durch Verstädterung und Zersiedelung.

 

Laut Bätzing zeigen sich am Beispiel der Alpen nur die Probleme unserer globalisierten Welt auf eine besonders deutliche Weise. „Das betrifft Franken genauso...“

 

  Fazit: Nicht Geld sei der Schlüsselfaktor für eine Zukunftsperspektive, sondern die kulturelle Identität. „Viele Menschen sind es heuer gewohnt, Geld auszugeben und Ansprüche zu stellen“, sagt Bätzing. Anstelle von Verantwortung werde etwas gekauft. Die Leute engagierten sich nicht mehr und zögen sich auf ihren privaten Konsum zurück. „Wenn alle Menschen das machen, geht die Gesellschaft den Bach runter“ mahnt Bätzing. „Ein Dorf muss Verantwortung für sich selbst übernehmen. Die Leute müssen selbst Strukturen aufbauen und dann ausbauen.“

 

  Wer sich die Mühe macht, über die Ursachen dieser Zustände im Allgemeinen und der daraus entstandenen Völkerwanderung im Besonderen nachzuforschen, wird nicht um die Erkenntnis herumkommen, in der Bewältigung der Krisen keine nationale, sondern eine Menschheitsaufgabe zu sehen. Einhergehen müsste dabei auch das Signal an die Steuerungsmechanismen der Politik, das Verständnis und die Einsatzbereitschaft der Bürgergesellschaft einzelner Regionen nicht ohne Not zu überstrapazieren. Es ist wohlfeil geworden, den immanenten Widerwillen eines großen Teils der Bevölkerung gegen die ständige Konfrontation mit dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte als unliebsamen Rückfall in ein Nationalgefühl zu interpretieren, das zweckdienlich und einprägsam in Angst einflößenden Aufmärschen dargestellt wird. Das Gesamtbild vervollständigt ein selbstgefälliges „Komitee der Anständigen“, das sich ebenso eklatant wie herablassend bemüht, auch den besonnensten Mahner in den Gulag der Infamie abzudrängen.

  Obstat principes! - Währet den Anfängen - lautet ein Zitat aus der fernen Antike, an das ich mich noch aus meiner Schulzeit erinnere. Der Gedanke erscheint mehr als nachvollziehbar, dass zur erfolgreichen Ursachenbekämpfung dieser weltumfassenden menschlichen Misere die Inhaftierung und Aburteilung eines nicht unerheblichen Teils von korrumpierten Machtpolitikern und ihrer Geldgeber aus den Wirtschafts- und Meinungsimperien unerlässlich sein müsste, aber aus nachvollziehbarem Grund wohl ein nicht wieder gut zu machendes Säumnis geblieben ist - und unerfüllte Utopie bleiben wird. Doch der alternde Geist, durch seine Erfahrungen mit der menschlichen Wesensart gestählt, begnügt sich in aller Bescheidenheit mit der bittersüßen Erwartung ihrer Verwirklichung...

updated 6. Juni 2016