Jahrmarkt der Eitelkeiten


                             „Wie Du warst vor aller Zeit, so bleibst Du in Ewigkeit!“
  
   Ein altes Kirchenlied mit dem Titel „Großer Gott, wir loben Dich“, das noch seit der Kinderzeit in einer verstaubten Ecke meiner Erinnerung haftet, geistert wieder durchs Gemüt, als folgende Kunde durch die Lande zog: Auf Anregung von Papst Franziskus soll die Weltkirche in „offener Diskussion“ sich um die Belange der Familien kümmern, die ja „von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil von Gottes Liebesplan für die Menschheit waren“, so das Zitat.
   Zu der von Franziskus einberufenen Synode, die sich als Beratungsgremium des Papstes versteht, sind daraufhin 191 „Synodenväter“ samt Entourage aus aller Herren Länder in der Heiligen Stadt eingetroffen, um als zölibatäre Familien-experten über drängende Gewissenskonflikte um Scheidung, Abtreibung und Homo-Ehe zeitgemäße Antworten innerhalb eines glaubenskompatiblen Standpunktes zu erarbeiten. Eine heikle Aufgabe! So musste es die Nachfolgekon-gregation der am ersten Pfingstfest vom Heiligen Geist erleuchteten Apostel hinnehmen, dass inzwischen eine unübersehbare Kluft zwischen der Lehre der katholischen Kirche und der Lebens-wirklichkeit der modernen Gesellschaft bestehe, wie dies ja auch ihr Dokument Instrumentum laboris bezeugt. Man kümmert sich also. Nicht, „um schöne und originelle Ideen zu diskutieren, oder zu sehen, wer intelligenter ist“, so Franziskus.
   Erleuchtete Verkünder göttlicher Statuten im gesellschaftlichen Abseits? Die persönlichen Meinungen einzelner Kirchenfürsten sind heute wie gestern irrelevant und stehen nicht zur Debatte; es geht um die einheitliche Position einer von der gefühlten Lebenswirklichkeit abgedrifteten Institution mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit! „Keine Parteienbildung“ hieß erwartungsvoll das Leitmotiv zur bevorstehenden Aussprache. Er wird uns also erhalten bleiben, der Eiertanz zwischen offiziösem Dogmatismus und dem erhofften Beitrag zu einer wie auch immer gestalteten Aufarbeitung antiquierter Normen. Beschlüsse, so die Verlautbarung, seien von dem Treffen jetzt nicht zu erwarten; es diene dieses nur der Vorbereitung einer weiteren Synode im nächsten Jahr. Außer Spesen also nichts gewesen? Immerhin soll es heuer noch ein Abschlussdokument geben.
   Es bedarf keiner besonderen Einbildungskraft zu erahnen, was da unter quälenden Geburtswehen anderes als ein vernebelndes Hoffnungspaket als virtueller Schuss in den Ofen für den zweifelnden Gläubigen zu erwarten ist. Eine Kostprobe aus dem vorläufigen Bericht, der sich mit der nach katholischem Kirchenrecht widerrechtlichen Wiederverheiratung im Kirchendienst stehender Eheleute befasst: Danach soll „ein solcher kirchenrechtlich unzulässiger Abschluss einer Zivilehe“ künftig nur noch dann als Kündigungsgrund gelten, „wenn dieser nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und dadurch die Glaub-würdigkeit des kirchlichen Dienstes zu beeinträchtigen“.

 Ein in Aussicht gestelltes Fortschrittchen immerhin als Beratungsergebnis einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des ehemaligen Erzbischofs Zollitsch und des Verbands der Diözesen Deutschlands. Was eine „maßgebliche Beeinträchtigung“ sei, bleibt bezeichnenderweise Interpretationssache der Kirchenauthoritäten.
   Wie lautet da noch ein Zitat des Meisters, das sich mir aus Zeiten des Religionsunterrichts sinngemäß eingeprägt hat:
                 Deine Rede sei einfach – Ja oder Nein. Alles andere ist von Übel.
   Der zeitgenössische, betroffene Katholik hat nun die Wahl, entweder ständig „mit dem Kirchenrecht unterm Arm herumzulaufen“ oder „mit den Füßen abzustimmen“. Nein, es macht keine Freude, dem beklagenswerten Zustand einer doch dem Glück der Menschen dedizierten Organisation hier in lustvoller Häme die Leviten zu lesen. Es muss enttäuschen, Zeuge zu werden, wie eine, vorzeiten als Fels in der Brandung inmitten einer zur Dekadenz abgleitenden Zivilisation sich entgegenstellende Kraft, sich nun als das Alcatraz kasernierter Winkeladvokaten präsentiert und sich wieder einmal der unvermeidbaren sozial-evolutionären Veränderung einer hochkom-plexen Gesellschaft hilflos gegenüber sieht. Doch man tröste sich.
   Das Leben selbst ermöglicht nichtsdestotrotz den begehrten Seelenfrieden für alle, ob Hirte oder Herdentier. Die avisierte „offene Diskussion“ hat auch in diesem Falle nur dann einen Sinn, wenn man nicht von vornherein entschlossen ist, Recht zu behalten. Jedoch: Die eine Institution kann nicht irren, die andere kann nicht „anders“. Das ersehnte Wunder der Glückseligkeit finden die Protagonisten beider Lager indes durchaus jeweils in ihrem ganz persönlichen Zustand, ihrem Lebensumfeld, ihrer eigenen Lebens-wirklichkeit, unabhängig vom Standort und der Form der eigenen Befangenheit. Und nur dort. Beide Sichtweisen sind und waren stets miteinander unvereinbar.
   Nun könnte ja jeder in seinem eigenen Kosmos bei allem Respekt glücklich werden, wären da nicht „andere“, die das eigene Weltbild stören. Das sind jene Gruppen, denen wir gemeinsam nicht angehören. Die offenkundige Aussichtslosigkeit, die utopische Sicht aller Dinge in schöner Eintracht teilen zu können, fordert jedoch gebieterisch empirisches Nachdenken über die Angelegenheiten, die diese Welt bewegen. Das Ergebnis: hier das Moratorium als Flucht in die Vertagung, dort die brachiale Gewalt als Weg zum „Gottesstaat“.
   Es ist zwar Konsens, dass alles das keine Probleme lösen kann, sondern immer neue generiert; die folgerichtige Konsequenz daraus erschöpft sich stattdessen im Ertragen der Zustände samt der öffentlichen Larmoyanz darüber und der strikten Ignorierung alles bewusstseinsverändernden Gefährdungspotenzials des schicksalsgläu-bigen, sakrosankten status quo. Warum?
   Es ist ja bei allen Glaubensrichtungen und Ideologien das Leben „danach“, das als das „eigentliche“ Leben unsere Aufmerksamkeit erheischt: Das „ewige“ Leben in immerwährender Glückseligkeit. Allerdings - hier ist man sich in allen Lagern einig - kommt man nur in den versprochenen elysischen Genuss, sofern man hienieden kompro-misslos die Teilnahmebedingungen der jeweiligen konkurrierenden Instanzen akzeptiert und praktiziert!
   Die (krankhafte) Veränderung des Denkens und Fühlens mit der persönlichen Beziehung zur Außenwelt als vollzogene Bewusstseinsspaltung, bezeichnet die Wissenschaft als Merkmal der Schizophrenie.
  Die individuell als willkürlich wahrgenommene Zuweisung göttlicher Liebesgaben indessen nötigt die von Natur aus egomanisch ausgerichtete Kreatur zu völlig irrationalen Lösungsansätzen für seine ureigensten Anliegen. Ob wir eine Chance haben, den Wettlauf mit der Zeit zugewinnen?

 

Wenn ich an alle die neuen Entdeckungen und Erfindungen denke, welche während meines Lebens gemacht wurden und welche ich langsam kennenlerne, bedaure ich die Jugend, welche das alles in wenigen Jahren erlernen muss...

 

  Goethe konnte damals kaum ahnen, was da noch alles auf die Menschheit zukommen sollte.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            20.10.2014