Die Tatsache als Unterstellung

 

„Unschuld findet weit weniger Schutz als Verbrechen.“ Der im FT vom 21. April zitierte Aphorismus von Francois de la Rochefoucauld (1613-1680) ist bezeichnend für die in der gleichen Ausgabe so oft zur Schau gestellte Hybris im heimischen Blätterwald. Das immer wieder beschworene Bemühen um neutrale Berichterstattung, um Wahrheit und Klarheit der Aussage, scheitert nur allzu oft kläglich im Alltag einer medialen Wirklichkeit, die den Eindruck erweckt, vor keiner noch so abstrusen Auslegung zurückzuschrecken, um sich dem Schablonendenken unserer Führungseliten aus Politik, Wirtschaft und Religion erbötig zu erweisen, zu eigenem Nutz und Frommen. Ein Beispiel:Lesermeinung FT 24.04.17:

So schaffen wir das nicht

  Ein ehedem unbegleiteter jugendlicher „Flüchtling aus dem Iran(?)“, Abbild eines Paradebeispiels hiesig gelungener Integration, findet sich wieder als Abgeschobener, Kalaschnikow griffbereit, im afghanischen(!) Herat und lässt den deutschen „Gutmenschen“ an unfähiger Zuwanderungspolitik und überforderten Behörden verzweifeln. Oder doch alles Fake-News? Social-Bot? Alles scheint möglich.

 

  Gutmensch - was ist das? Ein Bamberger Bürgermeister doziert, was einen solchen heutzutage ausmacht: Vielfalt, Multikulti und selbstredend mit passendem Feindbild einer „kläglichen Minderheit“, die nicht für Deutschland steht, sondern für „Feigheit und Ausgrenzung“. Klare Worte aus einer offenbar noch validen, authentischen Welt. Also doch nicht ganz so heil, diese schöne Welt?

 

  Die in der gleichen Ausgabe mitgelieferten „Meldungen aus einer Parallelwelt“  belehren den Leser über Verschwörungstheorien und rechte Propagandisten, die mit „hetzerischen Artikeln gegen den Islam die Religionsfreiheit infrage stellen“  und auch sonstwie allen Achtbarkeiten einer etablierten „Mitte“ Hohn sprechen. Im Rausch der Selbstgerechtigkeit fordert besagte Mitte endlich ein „Medienkompetenzzentrum“, damit der Leser eben jene „Propaganda von den seriösen Nachrichten unterscheiden lerne“. Aus welchen Quellen sich ein solches Steuerungsorgan speisen dürfte, zeigen uns selbsternannte Richter über unbequeme Bürger, wie in der Aburteilung eines gewissen Malers. Der hatte seinerzeit einen Auftrag des Stadtrates gewissenhaft erfüllt, ohne dass man „damals“ an seiner „braunen“ Einstellung etwas zu bemängeln fand. Wie auch, war doch Bamberg nicht gerade ein Hort des Widerstands gegen rechte Denkweisen, wovon dieser und jener jüdische Mitbürger so seine Erfahrungen machen durfte. Nun kann der Künstler sich nicht mehr verteidigen, was auch manchem Mitläufer von einst heute nicht ganz unliebsam sein mag.

 

  Nein, so erreichen wir „Das“ wirklich nicht! Es bleibt offen, warum mit der bewussten Herabwürdigung der Meinungsfreiheit durch eine neue Gesinnungstyrannei, Verfechter jener neoliberalen „Weltoffenheit“ glauben, dieser „Mitte“ damit einen Dienst erweisen zu müssen.

 

  Da hilft auch nicht das verständnisinnige Lamento der Journalisten, dass Fakenews, Lügenpresse & Co. kritischer denn je beäugt werden müssten - Pressekodex hin oder her. Auch wenn zu Artikel 12, nach dessen Wortlaut niemand wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden darf, allgemeiner Konsens besteht, so hat die Nennung der Herkunft von verdächtigten Straftätern durchaus dann einen begründeten Sachbezug, wenn sich die Leidtragenden einer verfehlten politischen Weichenstellung allein gelassen fühlen. Die moralische Delegation zwischen Informationsbedürfnis und dem Schüren von Vorurteilen ist fürwahr eine heikle Angelegenheit, die offenbar vielerlei Interessen und Empfindlichkeiten tangiert. Es empfiehlt sich daher ein entschiedenes Mehr an gesundem Pragmatismus, das Themen neutral aufnimmt und verantwortungsbewusst verarbeitet, ohne sie zugleich im Licht des eigenen Standpunktes zu interpretieren, ohne Kalkül und der Unterstellung von Hintergedanken.

 

  Es fällt immer wieder auf, dass der moralische Aspekt in ethischen Konfliktsituationen recht verschiedenartige Ansprüche bedient. Offenbar weniger Skrupel hat die veröffentlichte Meinung mit der Wertung eines schwebenden strafrechtlichen Verfahrens, wo Aussage gegen Aussage stehend, noch gar keine gerichtliche Verhandlung, geschweige denn ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Allein - auch das wohlbeleumundetste Opfer ist ungeachtet des Ausgangs in seinem Wirkungsbereich gesellschaftlich dann bereits ruiniert, dank einer verantwortungslosen Medienlandschaft, der die Gier nach dem „Knüller“ wichtiger war als jeder Pressekodex. Trotz aller gut gemeinten Vorsätze bleibt es ein fortgesetztes Ärgernis, dass wertneutrale Berichterstattung und ihre Kommentierung in dieser Zeitung hin und wieder von ein und demselben Redakteur nebeneinander veröffentlicht werden. Ein Unding, denn es erweist sich als nahezu unmöglich, die Sichtweise des Kommentators nicht auf die Darstellung des Sachverhalts abfärben zu lassen.

 

  Das systembedingte Auseinandertdriften der sozialen Klassengesellschaft, wie sie uns mit regelmäßiger Verlässlichkeit bescheinigt wird, soll an anderer Stelle durch das Vorgaukeln einer noch nie so gut gewesenen Lebenswirklichkeit einer jeglichen Kritik den Wind aus den Segeln nehmen. Ja, die Frage erhebt sich, ob die Auseinandesetzung zwischen Kapital und Arbeit mit der Kanzlerschaft einer sozialdemokratisierten Christdemokratin ein für allemal bereinigt sei und mit der „Vergötzung ausgeglichener Staatshaushalte“ alles auf dem rechten (linken) Weg ist..

 

  Er hat sich heimelig eingerichtet in seiner traulichen Mainstream-Ästhetik, der Gutmensch. Unter freiwilliger Entäußerung eigener Kritikfähigkeit begnügt er sich dank seiner selbstbezogenen Untadeligkeit, Feindbilder selbst zu generieren und Ungelegenes - im Konsens mit der Majorität im Rücken - mit dem ihm eigenem Vokabular zu dämonisieren. Hie freiheitlich-demokratisches System, hie Sammelbecken von Selbstdarstellern, Rechthabern und radikalen Kräften, (wie es sie bei den „fortschrittlich Etablierten“ selbstredend überhaupt nicht gibt). Auch die christlichen Hauptkirchen, in neuerer Zeit der politischen Enthaltsamkeit selbstverpflichtet, finden sich neben Gewerkschaften, einem Karnevalsverein und Krawallern aller couleur moralisch veranlasst, gegen einen ordnungsgemäßen aber missliebigen Parteitag zu demontrieren, von den Steuergeldern deren Mitglieder sie sich die Gehälter iher Führungsriegen jedoch gerne bezahlen lassen. Da überzeugen auch Kranzniederlegungen für Terroropfer wenig. Heute seien „Erbauer des Friedens nötig, nicht Aufwiegler von Konflikten, Feuerwehrleute und nicht Brandstifter, Prediger der Versöhnung und nicht Aufrufer zur Zerstörung“, appellierte der Papst anlässlich einer Dienstreise aus Ägypten. Die offensichtliche Ausweglosigkeit einvernehmlicher Integrationsbemühungen allein der christlichen Religionsgemeinschaften untereinander über zwei Jahrtausende hinweg spricht eine eindeutige, andere Sprache.

 

  Sind Fakten verhandelbar? Die Frage kann nur entschieden „Nein!“ lauten. Grundlage unseres Handelns darf nur das wissenschaftliche Prinzip sein, Dinge kritisch, kompetent und ergebnisoffen zu hinterfragen. „Deshalb müssen wir auch mal raus aus der eigenen Meinungsblase und wieder lernen, Informationen mit einer gewissen Offenheit aufzufassen“, wie dies die FT-Redakteurin Anna Lienhardt jüngst forderte.

 

  Dem ist nichts hinzuzufügen.

7. Mai 2017