Ziellos

Nachwort zu "Im Lande Nimmermehr"

 

  Es ist kein Geheimnis, dass sich jede Regierung schwer tut mit ihrem Volk. Allein das Vorhandensein der klassischen Kluft zwischen Regierenden und Regierten lässt naheliegend erkennen, dass beide Teile beim Erfüllen des ihnen zugedachten Rollendebüts nicht zwangsläufig mit der erhofften, wohlwollenden Akzeptanz ihres Handelns rechnen dürfen. Wieso auch! Der Aufgabenkreis ist weit gefasst. Vielleicht zu weit. Im Rahmen unserer repräsentativen Demokratie, wie sie uns von den Vätern und Müttern unserer neuzeitlichen Staatsform angedacht wurde, findet ein wachsender Großteil der Bürgerschaft seine verfassungsrechtliche Menschwerdung immer weniger im Zusammenwirken mit einem elitären Kreis von Entscheidungsträgern, der fast ausschließlich mit Juristen, Lehrern, Beamten und Technokraten besetzt ist. Was man aus den schlechten Erfahrungen mit einer direkten Demokratie durch sich häufende Volksentscheide und der einhergehenden Radikalisierung durch populistische Mehrheiten gelernt hatte, glaubte man durch die repräsentative Variante mit erhoffter Expertenkompetenz zu überwinden. Eingetauscht hat man die Anfälligkeiten für Populismus und Demagogie mit einer neuen Empfänglichkeit für Lobbyismus und Korruption. Die inzwischen zum Establishment gehörige Hinterzimmerpolitik lässt das Parteiensystem in unserer Interessengesellschaft erodieren und beschert, mit dem Ausfall politischer Selbstwirksamkeit, den Parteien wie ihren Repräsentanten einen fatalen Sympathieverlust. Es gilt, einen gangbaren Weg zu finden im Dschungel zwischen reichlich verfügbarem Expertenwissen und dem Ränkespiel politischer Hasardeure, an dessen Ende uns im Verlauf einer schleichenden Zersetzung der Verlust unserer freiheitlichen Grundordnung droht.

 

 Das Leben selbst kennt nicht die Idee der Strafe, sehr wohl jedoch die Konsequenzen eigenverantwortlichen Handelns. Eine fundamentale Feststellung - und ein schwieriges Geschäft für die Staatskunst, die sich der ständigen Gefahr aussetzt, durch bewusste Inaktivität ihrer gewählten Entscheidungsträger das Grab der repräsentativen Demokratie zu schaufeln, wenn sich Entscheidungen an marktradikalen Ideologien und nicht an Mehrheiten ausrichten. Akademische Bildung schützt vor Torheit nicht. Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Warum die Hast?

 

 Der unheilschwangere Blick über den „Tellerrand“ verheißt ebenfalls wenig Gutes. Man sieht es, man weiß es, man lässt es zu: Die ungebremste Umverteilung unserer Resourcen in die Hände Weniger, unbezahlbare Leistungen als Entgelt für eine, in langen Arbeitsjahren geschaffenen Infrastrukturen besorgen die Entmündigung und Enteignung der Eigenverantwortlichen, überantworten sie dem Trauma einer menschenunwürdigen Daseinsvorsorge. Dem „süßen Leben“ auf Pump stehen eine abenteuerlichen Staatsverschuldung, mit Steuermilliarden alimentierte Kirchen, korrumpierte Regierungen und unersättliche Interessenverbände gegenüber, allesamt protegiert von der zunehmend an Neutralität verlustig gehenden, systemhörigen Medienwelt. Die enthemmte Verwahrlosungsrhetorik in der Anonymität der „sozialen Netzwerke“ mit der Dämonisierung alles Ungelegenen lassen selbst scheinbar sorgenfreie Eliten über Fluchtwege nachsinnen - für den Fall eines denkbaren Falles. Und das zu Recht, bedenkt man, dass nach glaubhaften Berechnungen unsere, von allen guten Geistern verlassene Erdbevölkerung, derzeit bereits die 1,6-fache Kapazität unserer lieben Heimatplaneten benötigen würde, um ihre ökologische Geisterfahrt mit einer „schwarzen Null“ fortsetzen zu können...

 

 Wer also sind wir? Wie konnten wir so weit davon abkommen, mitfühlende menschliche Wesen zu sein: das Vermeidbare nicht zu unterbinden und das Unvermeidliche so ungeniert unserer Nachkommenschaft zu überantworten?

 

 Und das betrüblichste: zu wissen, dass mir niemand diese Frage fassbar beantworten wird.

 

23. November 2016