Weg ohne Wiederkehr

 

   Ich versuchte, mir die Wirkungsweisen von dunkler Energie, von Quantenmechanik und die Eigenschaften von dunkler Masse vorzustellen. Vergebens. Und doch war es offenbar so. Es mutete mich deshalb alles gerade so an, als sei dahinter eine sinistre Verschwörung der Elemente und Naturkräfte erkennbar, die nur darauf abzielten, sich zu verflüchtigen, sobald ihr Geheimnis gelüftet sei, um danach mit etwas noch Unbegreiflicherem und Bizarrerem aufzuwarten.

   Aber warum quälst du dich damit herum? Der Gedanke durchfuhr mich wie ein Blitz. Schließlich verhält sich die ganze Sucherei nach Antworten gerade so, als mache sich ein deutscher Regenwurm Gedanken über die Parlamentswahlen auf den Fidschi-Inseln. Ja, tatsächlich; warum tut man das? Das alles hat doch nicht den geringsten Einfluss auf deine persönliche Befindlichkeit – so oder so. Was kümmerts mich also? Und doch lässt es mir keine Ruhe. Ich konnte mir gut vorstellen, dass da auch andere sich ihre Gedanken machen und dann dort landen, wo alle immer gelandet sind, die rätselhafte Phänomene nicht mit ihrem Verstand verarbeiten konnten. Gibt es also doch eine dunkle Macht, die die Erklärung für all das liefern kann, was wir in unserem intellektuellen Schwebezustand nicht verkraften zu können glauben?

   Und dann diese weißen Flecken in unserem Erfahrungsatlas, die gerade deshalb so rätselhaft sind, weil man von vornherein weiß, niemals auf eine verbindliche Aufklärung hoffen zu können. Da liest man von den „Nahtoderlebnissen“ von Menschen verschiedenster Herkunft und Alters, die ihre Erfahrungen am äußersten Rande der Wahrnehmungsfähigkeit einem faszinierten Publikum mitteilen.

   Vier Millionen Deutsche allein sollen alljährlich mit diesem Phänomen konfrontiert sein, aus den unterschiedlichsten Ursächlichkeiten, die aber immer mit einem Herzstillstand verknüpft sind, der Hirntod aber offensichtlich noch ausstand. Entsprechend unterschiedlich sind auch die geschilderten Eindrücke, die zumindest belegen, dass da kein verbindlicher, allgemeingültiger Ablauf feststellbar ist, wenn man von dem Geständnis absieht, dass es den Betroffenen sichtlich schwer fällt, das Erlebte treffend mit Worten zu beschreiben. Es erscheinen dort Visionen von hellem Licht, weich und angenehm, gefühlte Zustände von Liebe, Güte, tiefstem Vertrauen, Geborgenheit, Wohlwollen und Frieden. Doch nicht alle Erlebnisse berichten von Glücksgefühlen und Frieden. Es spricht alles dafür, dass hier nur solche Befindlichkeiten intensiviert werden, die dem Betroffenen zeitlebens vertraut oder in seinem Wunschdenken und seiner Phantasie verwurzelt waren. Tatsächlich ist dabei das Ablaufen des zurückgelegten Lebensfilms oder die Begegnung mit Verstorbenen ein nicht selten angeführtes Phänomen. Den Eindruck „neben sich zu stehen“ teilen ebenfalls viele an der Schwelle des Todes, indem sie das Gefühl von Schwerelosigkeit erleben und ihren eigenen Körper von außen her wahrnehmen. Sind dabei Glücksgefühle impliziert, wird die Rückkehr in den eigenen, zumeist kranken Körper verständlicherweise als enttäuschend empfunden.

   Was immer diese „grenzwertigen“ Erfahrungen an Spekulationen provozieren mögen: Es handelt sich dabei immer nur um Einsichten in den Prozess des Sterbens, die die bewusste Schwelle niemals überschreiten.

   Obwohl hieraus konsequenterweise keine relevanten Rückschlüsse auf das gezogen werden können, was zwar jeden brennend interessiert, aber auch nicht abschließend beantwortet werden kann, sind  damit Mutmaßung, Spekulation und Mystik Tür und Tor geöffnet, wozu die jenseitsgerichteten Religionen zu allen Zeiten und innerhalb aller Kulturen ihren wertbestimmenden Beitrag als "Wahrheitsverkündungen" geleistet haben. Auch Angst kommt damit  zwangsläufig nicht selten hinzu, und nicht immer ist die wissenschaftliche Sicht des Ereignisses dem geplagten Erdenbürger ein Trost in der Finsternis.

   Es ist das menschliche Hirn, jener überaus komplexe Mechanismus aus Milliarden Zellen mit seinen interaktiven Verknüpfungen, der uns im Normalzustand das Denken erlaubt und es uns als einzigem Lebewesen gestattet, über die eigene Wesenhaftigkeit zu reflektieren. Dieses wunderbare, noch nicht in allen Funktionen erklärbare Organ ist einem Computer durchaus ähnlich. Auch der britische Astrophysiker Stephen Hawking betrachtet das Gehirn als eine Art Computer, der bei Fehlfunktion die Arbeit einstellt. Daraus folgert er naheliegend, dass es nach dem Tod weder einen Himmel noch ein Leben für kaputte Computer geben kann. Es sei dies allenfalls ein Märchen für Leute, die sich in der Dunkelheit fürchten. Für den weniger für Angstpsychosen Anfälligen mag es andererseits beruhigend wirken, sich niemals in einem Zustand einfinden zu müssen, der ihm die Gewissheit beschert, tatsächlich tot zu sein.