Die Wahrheitslüge

                                                                          Emilia Dziubak

 

Zum Thema „Die Wahrheitslüge“ , Fränkischer Tag vom 10./11. Juni

 

Da finden sich doch immer wieder lästige Zeitgenossen, die etwas an der schönen Welt des Neoliberalismus herumzumäkeln haben. Doch jetzt schlägt das Imperium zurück - mit professoraler Sprachgewalt! Der ehrenwerte Versuch, mit Mitteln der Sprache Positionen ins gewünschte Licht zu rücken, erweist sich jedoch als zweischneidiges Schwert im Kampf um die Wörter. Wenn das Wesensmerkmal des Populismus sei, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen zu gewinnen, so trifft dies nicht nur Rechtsradikale, sondern sämtliche Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände gleichermaßen. Die bislang einzig überzeugende Definition des Populismus als die Meinung anderer, die man selbst nicht teilt, bezeichnet das ganze Dilemma einer unredlichen Medienwelt samt einer Gesellschaft, die den Sinn des Lebens pragmatisch dort erkennt, woran sie glaubt.

Die „Wahrheit“ gar als „deklarierter Kampfbegriff“ lässt wenig Hoffnung darüber aufkommen, eine Konsensfähigkeit unter mündigen Bürgern zu erreichen, die Kritik an Finanzkapitalismus und Lobbyismus als linksradikal, am Islam als rechtsradikal zeitgeistgerecht abzuheften gewohnt sind. Interessenlage als Basis moralisierender Beurteilung: Begriff „Volk“. Der Mensch, der 2017 in Leipzig den Ruf „Wir sind das Volk!“ mit auf die Straße bringt, erfährt bei gleicher Aussage nicht die gleiche Würdigung eines Rufers von 1989, und über die Notwendigkeit der Vokabel „völkisch“ nachzudenken, mag schon erörterungswert sein, zumal diese ihr begriffliches Stigma riskiert, wenn sie Armenier, Jesiden, Bienen oder Neonazis gleichermaßen einbezieht.

Man muss Tories, Republikaner, Putin und Afd-Wähler nicht mögen, aber ein Anrecht auf faire Berichterstattung und respektvolle Wahrnehmung ihrer Anliegen haben selbst unliebsame Mitbürger, auch ohne sich auf eine „Entmenschlichung von Minderheiten“ berufen zu müssen, wie sie Prof. Haase im Zusammenhang mit schutzsuchenden Flüchtlingen beklagt,.

Mit dem Leitartikel „Verzockt!“ vom 10/11. Juni bezeugt FT-Redakteur Hägele auf Bild-Niveau (Desaster, Bankrotterklärung, überhebliche Einschätzung, abgestraft) sein angeschlagenes Demokratieverständnis mit einem Exempel für das im Glossar „Wahrheitslüge“ angeprangerte „Verbiegen von Tatsachen“ im Sinne von Hitlers Propagandisten. Braucht der Mensch die Lüge, weil die Wahrheit nicht zu ertragen wäre?

Es sind nach dieser Sichtweise nicht Sachverhalte, die ihre ethische Verwertbarkeit bestimmen, sondern die vorausfahrende Zuordnung zu „postfaktischen“ Gesinnungs-Schubladen.

Eimal mehr erweist sich, dass nicht Unwissenheit jemals unser größtes Problem war, sondern die Arroganz der Erleuchteten, die uns ständig suggerieren, alles bereits zu wissen.

 17. Juni 2017